Liebe, Halbmarathon und Brustkrebs

 
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Ein Beitrag von Elena

Vor gut 12 Jahren kam die Liebe.

Ich lernte einen Mann kennen und dachte sofort – mit ihm will ich zusammenleben, diskutieren, Berge besteigen, Bücher lesen, Opern besuchen, reisen, kochen und vieles mehr. Und wenn wir dann richtig alt sind, Hand in Hand an der Promenade des Zürichsees spazieren gehen und die Schwäne füttern. Aber das Joggen hatte es ihm angetan. Meine ersten Joggingversuche über die Holzbrücke in Rapperswil habe ich nur dank der Liebe überlebt. Ich war keine Leichtathletin!!! Ich war keine Sportlerin!!! Wandern – ja, Walking – vielleicht, aber Joggen – niemals!

Aber ich wollte mit meinem Liebsten zusammen sein und gemeinsam laufen. So habe ich es durch seine Motivation und mit der Kraft meiner Liebe nach einiger Zeit geschafft, 5 Kilometer durchzustehen. Mein Partner versicherte mir bei jedem Lauf, dass wenn ich dranbliebe, eine gewisse Leichtigkeit kommen und ich irgendwann echte Freude am Joggen finden würde. Aber das geschah lange nicht. Mindestens ein Jahr lang bin ich nur der Liebe wegen gelaufen. Und dann kam wirklich die Freude und auch mehr Ausdauer. Die 5-Kilometer-Distanz mutierte vom «pièce de résistance» zur Wohlfühlstrecke.

Wir lieben beide Wien und waren schon öfter dort. Im Jahr 2015 wollte mein Partner einen Halbmarathon in Wien laufen. Ich war die Fotografin.

Sightseeing-Tour

Hier muss ich unbedingt erwähnen, dass der Wiener Halbmarathon eigentlich eine Sightseeing-Tour ist. Man startet beim UNO-Hauptquartier, überquert die Donau über die sechsspurige und 864 Meter lange Reichsbrücke, läuft am Riesenrad vorbei in die Prater Hauptallee. Weiter geht es auf der Ringstrasse, vorbei an der Wiener Staatsoper, unzähligen Kirchen und historischen Denkmälern, über den Naschmarkt zum Schloss Schönbrunn und dann durch die Mariahilfer Straße zum Burgtheater und Rathaus

Beim Wienerschnitzel-Essen nach dem Halbmarathon habe ich, für mich völlig unerwartet, zugesagt, im nächsten Jahr auch mitzulaufen. Das lag wohl am österreichischen Wein und dem warmen Blick meines Partners. Von dem Moment an, in dem ich ja gesagt hatte, bereute ich meine Entscheidung fast jeden Tag. Ich war mir sicher, dass ich nie und nimmer 21.0975 Kilometer schaffen würde. Dann kam der April 2016 und ich schaffte es tatsächlich. Ich war glücklich, befreit, stolz, zufrieden, müde, euphorisch.

Vier Monate danach

Vier Monate später war ich am Boden zerstört. Wie aus dem Nichts kam die Krebsdiagnose. Operation, Chemo, Bestrahlung – das volle Programm mit allen dazu gehörenden Wirkungen und Nebenwirkungen. Am 19. Dezember 2016, neun Tage nach meinem 50. Geburtstag, war ich mit den Behandlungen fertig. Ich selbst war auch fix und fertig. Die Anmeldung für meinen zweiten Halbmarathon in Wien war immer noch gültig.


Es waren sehr harte 21 Kilometer, körperlich und geistig, aber es waren auch glückliche 21 Kilometer. Ich habe gelitten und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, wieder zu leben.
— Elena

 
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Weitere vier Monate später

Im April 2017, vier Monate nach Abschluss der Behandlungen, bin ich gelaufen. Diesmal waren wir zur dritt – auch mein Sohn lief mit. Es waren sehr harte 21 Kilometer, körperlich und geistig, aber es waren auch glückliche 21 Kilometer. Ich habe gelitten und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, wieder zu leben.

Zurück im Leben

Es folgten weitere Wiener Halbmarathons in den Jahren 2018 und 2019. Jedes Mal war es eine Herausforderung, aber ich kannte die Strecke ja bereits und genoss sie sehr. Meine Liebe jedoch ging in die Brüche. Im April 2020 wollte ich einen symbolischen Schlussstrich ziehen unter die Kapitel Liebe, Wiener Halbmarathon und Erinnerungen. Es sollte mein letzter Wien-Lauf sein. Die Pandemie hat das «verhindert. Um ehrlich zu sein, bin ich nicht sehr traurig darüber. Ihr könnt das sicher verstehen.

Alles braucht seine Zeit

Vielleicht werde ich irgendwann wieder einen Halbmarathon laufen. Im Moment bevorzuge ich die kürzeren Distanzen. Ein Journalist schrieb in der NZZ, 2020 war das Jahr des Spazierens. Ich würde hinzufügen: und des Laufens. Ich kann jedem empfehlen, es zu versuchen. Und dann ist es wie beim Dating, es passt oder es passt nicht. Aber gebt nicht nach dem ersten Mal auf. Auch die Liebe braucht ihre Zeit.

Eure Lena

P.S. Die Fotos sind selbstsprechend und zeigen meinen Weg zurück ins Leben.

 
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