Ein Jahr Homeoffice – was wirklich zählt
Ein Beitrag von Elena
Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass ich seit einem Jahr im Homeoffice sitze, allein. Irgendwann wird sie vorbei sein. Auch wenn diese Situation teilweise schwierig war, werde ich viel Positives mitnehmen.
Schon seit einem Jahr blicke ich täglich von meinem Arbeitsplatz auf ein weisses Haus mit 24 Fenstern und 48 grünen Fensterläden. Darüber sechs Maisonette-Fenster, ohne Fensterläden. Auf dem Sims vor einem Fenster steht ein Blumentopf mit etwas Struppigem drin. Warum entsorgen sie das nicht? Auf einzelnen Fensterbänken stehen die grünen allbekannten kleinen Kompost-Eimerchen. Links ein Haus mit vier Balkonen. Ein Balkon wird rege von einem älteren Ehepaar besucht. Als ich sie zwei Tage lang nicht gesehen habe, wurde mir mulmig. Es war so schön, sie wiederzusehen!
Meine kleine Welt zwischen Stehtisch, Yogamatte und Allmend
Mein in der Tisch-Hierarchie aufgestiegener halbjährige IKEA Stehtisch (im Gegensatz zum altgedientem IKEA Esstisch) hat seinen Platz zwischen zwei Fenstern, in der Ecke eingequetscht, gefunden. In der Mitte des Wohnzimmers liegt ein Teppich mit Yogamatte. Dort löse ich meine Verspannungen von den vielen im Sitzen verbrachten Stunden und meditiere, wenn ich das Gefühl habe, nicht mehr klar denken zu können. Hinter mir, acht Schritte entfernt, die Küche. Dort finde ich immer wieder Trost und Unterstützung für meinen Körper, meine Seele und die schlanke Linie.
Das ist seit gut einem Jahr meine kleine Welt. Sehr klein!
Meinen Auslauf erhalte ich in der Allmend, wo ich jetzt viele einsame Weglein kennengelernt habe. Es ist erstaunlich, wie viele menschenleere Orte es mitten in Zürich gibt! Sie würden es mir nicht glauben, aber der Uetliberg kann ohne Menschenströme bestiegen werden. So kann unter Einhaltung der „sozialen Verantwortung“ in aller Ruhe spaziert und gejoggt werden.
Die Grenzen verschwinden
Ich habe nie von zu Hause ausgearbeitet und meine Freundinnen und Freunde hin und wieder beneidet, die diese Möglichkeit hatten. Deshalb war es für mich interessant und lehrreich, selbst diese Erfahrungen zu machen. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt. Das geht besonders schnell, wenn man allein lebt. Um halb neun Uhr abends kommt plötzlich eine besonders tolle Idee, die ich sofort festhalten möchte und schon wird der Computer aufgeweckt. Mit der Zeit habe ich gelernt mir zu sagen: Lena, jetzt ist Feierabend!
Es wird eine andere Normalität.
Ich habe in meinem Leben mehrere erschütternde Ereignisse erlebt und überstanden: den Zusammenbruch der UdSSR, die Abwertung des Rubels, die Rationalisierung von Nahrungsmitteln, die Perestroika, Emigration, den Verlust meines Mannes nach eine Krebserkrankung und meine eigene Krebsdiagnose. Aber eine Pandemie, das ist eine Premiere! Trotz anfänglicher allgemeiner Unsicherheit und Angst bin ich der Meinung, dass wir als Gesellschaft diese Herausforderung mit Bravour gemeistert haben und weiterhin meistern. Die Normalität wird eines Tages zurückkehren. Es wird eine andere Normalität! Aber so seltsam es klingen mag, ich möchte, dass das, was wir jetzt erfahren, nicht verloren geht und vergessen wird. Ich habe in dieser Zeit gelernt, bewusster auf meine Bedürfnisse zu achten und nur Kontakte zu pflegen und Anlässe zu besuchen, die mir wirklich wichtig sind. Die Pandemie hat mich für immer verändert, und ich bin sicher – zum Besseren.
Eure Lena